Eine neue Generation junger Küchenchefs erobert Kopenhagen und stellt die nordische Küche auf den Kopf.
Zu den Dingen, auf die das preisgekrönte nordische Restaurant Noma neben seinen kulinarischen Errungenschaften zu Recht stolz sein kann, gehören jene, die dort lernten. Eines der unzähligen Verdienste des Noma-Gründers Rene Redzepi war es, einer großen Schar von Auszubildenden, die im Laufe der Zeit zu Angestellten wurden, die Hand zu reichen, um aus Ihnen vollwertige Angehörige des Restaurants zu machen, die mit ihrem Enthusiasmus und harter Arbeit zu dieser zeitgenössischen Legende beigetragen haben.
Und wie das Leben so spielt, beginnen die größten Talente schon bald, dem Gelernten einen eigenen Anstrich zu verleihen und eigene Pfade einzuschlagen. Viele der großen Namen der zeitgenössischen Küche, die die lokale Szene gekonnt aufmischen, stammen aus der Küche des Noma: talentierte, junge Menschen, die ihren eigenen Weg gehen und doch der skandinavischen Küche und den Lektionen von Redzepi treu bleiben. Ihr Stil zeichnet sich durch Kreativität aus, ihre Gerichte durch Farbe, Frische und saisonale Zutaten.
Diese jungen Küchenchefs, Veteranen der ruhmreichen Vergangenheit des Noma, spielen heute eine Schlüsselrolle der neuen Generation Culinaria, die ihre Wurzeln in der nordischen Küche und in Kopenhagen hat: Christian Puglisi mit dem Relae (und seinen zigtausend weiteren Projekten), Matt Orlando mit dem Amass sowie Søren Ledet und Rasmus Kofoed auf der Brücke des Geranium.
Nach einer langen Ausbildung bei Rene Redzepi tat sich der in Sizilien geborene und in Dänemark aufgewachsene Christian Puglisi mit seinem Freund und Patron Kim Rossen zusammen, um ein Restaurant im Stil des Pariser Konzepts der „Bistronomy“ zu eröffnen – ein Konzept, das sich einer Stadt wie Kopenhagen nicht gleich erschließt. Das Relae liegt im angesagten Norrebrø-Viertel. Die Bedienung hier ist schnell und unprätentiös, die Atmosphäre gelassen: Wer im Relae speist, nimmt Speisekarte und Besteck aus einer Schublade unter dem Tisch. Obschon die Weinempfehlung von einem Sommelier kommt, gießt der Gast selber ein – wie zuhause. Denn Christian Puglisi wollte sich klar von den feinen Speiserestaurants mit der prätentiösen und künstlichen Atmosphäre der gehobenen Gesellschaft abheben, sich von allen Fesseln befreien, um sich voll und ganz auf die Speisen konzentrieren zu können.
Im spartanisch eingerichteten Gastraum des Relae ist ganz eindeutig die von ungebändigter Kreativität strotzende Speisekarte der Star: Je nach dem, welche Lebensmittel auf dem Markt verfügbar sind, gibt es täglich ein anderes Drei- oder Vier-Gänge-Menü und Wein. Puglisi gibt sich keine Mühe, seine italienischen Wurzeln zu verbergen: Immer wieder blitzt die sizilianische Sonne durch, zum Beispiel im Olivenöl und den Zitronen, die er direkt in seinem Geburtsort einkauft. Sie passen perfekt zu den zwei oder drei lokalen Zutaten, die er jeden Tag in der Küche verarbeitet. Das Restaurant trägt einen Michelin-Stern, der als Anerkennung für den Minimalismus verliehen wurde.
Matt Orlando, Vordenker und Zupacker hinter dem Amass, vermeidet sorgfältig jedes Etikett für seine Küche. Kategorien sind irrelevant: Zutaten und deren Interpretation auf dem Teller machen den Koch zum Küchenchef. Das 2013 eröffnete Amass ist zum Wahrzeichen für Foodies in Kopenhagen geworden. Geboren in Kalifornien, mit Brot und Surfbrett aufgewachsen, begann Matt Orlando schon früh als Küchenhilfe im The Fat Duck und Per Se, bevor er im Noma ankam und dort zum Souschef wurde. Das Amass ist ein natürlicher Entwicklungsschritt in seiner Karriere und eine Spielwiese, die eindeutige Zeichen der skandinavischen Küche trägt.
Sein Restaurant befindet sich in einem ehemaligen Schifffahrtslager im Hafengebiet östlich von Kopenhagen. In der riesigen Kaverne mit etwa 500 Quadratmetern befindet sich ein Garten, in dem das Restaurantpersonal eigenen Anbau betreibt, sofern es das dänische Klima zulässt. Der Küchenchef hat sich als Ausdruck seiner Begeisterung für die lokalen Produkte bewusst für Kopenhagen entschieden. Seine Küche möchte für frischen Wind sorgen, zwangloser und lässiger als das Noma, aber nicht unbedingt weniger ambitioniert. Matt Orlando lässt die Zutaten sprechen: instinktive Gerichte, die direkt in der Küche entstanden sind – ohne großes Probieren und Experimente. Das Ergebnis sind erstaunliche, einzigartige Gerichte, die sich ganz dem Organischen der Zutaten unterwerfen. Müsste man diese Speisen mit nur einem Wort beschreiben, dann wäre es dieses: Spontaneität.
In der Zwischenzeit hat Søren Ledet einen anderen Weg eingeschlagen. Auch er war Souschef im Noma, doch seine Karrierevision folgt (anderen) Regeln. Anders als seine Kollegen, die sich bewusst für den Regelverstoß entschieden haben, wählte Søren Ledet die klassischere Laufbahn: Geschäftsführung eines Restaurants und des Bedienungspersonals. In der Küche sorgt Rasmus Kofoed für Ordnung. Dieser wurde mehrfach zum besten Küchenchef in Dänemark ausgezeichnet und ist mehrfacher Gewinner (2011 Gold) im renommierten, vielleicht sogar wichtigsten Gastronomiewettbewerb Bocuse D’Or.
Im achten Stock eines Hauses am prächtigen Fælledparken im Zentrum Kopenhagens gelegen, können Sie vom Restaurant aus das Farbenspiel der Bäume im Jahresverlauf bewundern. Die Räumlichkeiten selbst sind im klassisch-minimalistischen skandinavischen Stil in Grau- und Weißtönen eingerichtet. Das Geranium profitiert von der umfassenden Erfahrung Kofoeds: perfekt ausgewogene Gerichte, die alle Sinne betören. Im Geranium zu speisen ist noch kultivierter als ein Mahl im Noma; sollte das überhaupt möglich sein. Da verwundert es nicht, dass der Küchenchef für dieses Restaurant direkt ausgezeichnet wurde: 2016 erhielt das Restaurant als erstes dänisches Restaurant überhaupt drei Michelin-Sterne.
Drei kreative Köpfe und drei unterschiedliche Ansätze in der Küche, die allesamt denselben Grundsätzen der kreativen skandinavischen Küche fest verbunden sind: Wesentlichkeit, Frische und Organizität. Wie Matt Orlando selbst sagt: „Wir haben das Kochen in Dänemark gelernt. Und darum wird die skandinavische Küche auf ewig Teil unserer eigenen Ausdrucksweise bleiben.“ Das Noma schließt seine Türen im Dezember und wird irgendwann 2017 wiedereröffnen; wann genau, ist nicht bekannt. Aber keine Angst: Bis dahin sorgt dieses Trio für Anstöße in der Küche, die in diesen Breitengraden bisher unbekannt waren.