Wie man sich als Kaffeeröster selbst verwirklicht und die Welt auf der Suche nach dem perfekten Kaffee umrundet
Es nennt sich Serendipität, beziehungsweise die Fähigkeit oder das Glück, überraschende Entdeckungen zu machen. Mit diesem Begriff ließe sich auch die Geschichte von Hippolyte Courty beschreiben: Er trank nie gerne Kaffee, höchstens einen Cappuccino am Tag, und plötzlich, aufgrund einer glücklichen Fügung des Schicksals, entdeckte er eine starke Leidenschaft, die zu seiner Berufung wurde.
Hippolyte, heute ein namhafter Vertreter der Pariser Coffee Roaster-Szene, hat seinen Weg gemacht. 2008 war Hippolyte noch Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität in Paris. Als großer Fan des Essens und Trinkens verkaufte er in seiner Freizeit Wein, schrieb darüber und organisierte önogastronomische Stadtführungen für neugierige Touristen. „Zuerst gab es bei jedem Kaffee, den ich trank, irgendetwas, was mir nicht gefiel: Ein verbrannter Geschmack, zu bitter, ständig wechselnde Aromen, die aber niemals schmeckten. Klar, das Ritual des Kaffeetrinkens war schön, aber mit dem Erzeugnis konnte ich nichts anfangen. Eines Tages ließ mich ein befreundeter Koch nach dem Essen einmal „den da“ probieren und öffnete mir damit die Augen zu einem neuen Universum.“
So lernte Hippolyte den wahren Geschmack des Kaffees kennen, verliebte sich in das Produkt und wurde von heute auf morgen zum Kaffeeröster. Seine neue Karriere begann mit einer Reise in die Fazenda eines biodynamischen Kaffeeerzeugers in Brasilien, wo er Kaffeebohnen einkaufte und mit zurück nach Paris brachte. Innerhalb eines Tages hatte er eine Rösterei gemietet und begann mit den ersten Röstexperimenten, um die Geheimnisse des Handwerks zu erkunden. Seine Marke „L’Arbre à Café“ wurde schnell zu einer der innovativsten der Pariser Szene.
Innovativ, weil ihn seine Ausbildung in Önologie einen atypischen Ansatz ausprobieren ließ, denn Hyppolite suchte in einer Kaffeetasse die Komplexität und Präzision eines Weins und die erreicht dieser durch ein sehr präzises Auswahlkriterium: Nur eine Kaffeesorte, nur eine Plantage und nur eine Charge. Kontinuierliche Reisen in die Herkunftsländer und eine minutiöse Suche des richtigen Röstgrads ermöglichen seinem Kaffee das perfekte Gleichgewicht aus Aromen und Bitterstoffen.
Somit wird der Kaffee zu einem absoluten Qualitätsprodukt, das dem Genussmoment eine neue Tiefe verleiht und vor allem ein neues, starkes Band zu seinem Herkunftsland knüpft. Kaffee hat eine unendlich lange Lieferkette, bei der die Erzeuger mit einem Hungerlohn auf der Strecke bleiben und zudem die organoleptischen Eigenschaften des Produkts verloren gehen. L’Arbre à Café verkürzt die Lieferkette auf drei Mitspieler: Den (biodynamischen) Erzeuger, den Kaffeeröster und den Verbraucher. „Derzeit stammen 80 % unserer Kaffeebohnen aus Direct Trade, wobei sie eine geringere Wegstrecke hinter sich haben und besser kontrolliert werden.“ Auf diese Weise verdienen die Erzeuger mehr und die Verbraucher wissen endlich, was sie da in der Tasse haben. „Man trinkt bei uns keinen Kaffee von L‘Arbre à Café, sondern einen Kaffee, der direkt vom Erzeuger kommt.“
„Was mir am Kaffee gefällt? Seine Vielseitigkeit.“ Jedes Terroir hat seine spezifische Eigenart, die man in der Tasse merkt.Auf der anderen Seite ändert es alles, den Körper, die Bitterstoffe und die Palette der Aromen. „Es gibt je nach Herkunft des Kaffees großartige organoleptische Familien, wobei mir anstatt Herkunft die Bezeichnung Terroir lieber ist: Die Herkunft bezieht sich auf ein riesiges Anbaugebiet, das Terroir kann auch nur eine einzige Produktionscharge bezeichnen. Und das macht den wahren Unterschied.“ In Kolumbien ist der Kaffee beispielsweise sehr körperreich und ausgewogen, wohingegen wir in Peru Anklänge von Schokolade und weniger Komplexität vorfinden.
Auf den Inseln Hawaiis gibt es würzige Kaffeesorten mit Holz- und Zimtaromen. In Kenia hat der Kaffee einen bittreren Geschmack mit Nuancen von Blau- und Johannisbeere. Es wird zurzeit an der Erstellung einer Kaffee-Weltkarte gearbeitet und was auffällt, ist, dass die selben Erzeuger Aromaprofile für jede Region entwickeln, so wie dies bei der IGP-Zertifizierung von Lebensmittelerzeugnissen in Europa der Fall war. „Und dann komme ich und suche mir meinen Kaffee direkt vor Ort aus den einzelnen Parzellen aus. So arbeiten nur wenige auf der Welt, für mich ist es aber die einzige Methode, um ein präzises Produkt zu finden, das angenehm am Gaumen ist, und zudem aus sozialer und umweltrechtlicher Sicht unbedenklich.“
Aber der Rohstoff ist längst nicht alles. Die Röstung kann einen Kaffee gänzlich auf den Kopf stellen: Von ihr hängen der Grad der Säure, Bitterstoffe und Anklänge von Kakao sowie Röstaromen ab. „Worauf es ankommt, sind Geschmack, Ästhetik, Technik und die richtigen Instrumente, um die eigene Produktidee umzusetzen. Und man darf nicht vergessen, dass für uns Kaffeeröster auch der Barista eine wichtige Rolle spielt. Denn was nützt es mir, wenn ich nur einen guten Kaffee nach Paris bringe und sonst nichts?“ Die falsche Zubereitung kann alles ruinieren, weshalb sich Hippolyte persönlich um die Ausbildung der Barista kümmert, die seinen Kaffee zubereiten.
Neben der herkömmlichen Espresso-Zubereitung gibt es natürlich auch noch die French Press, den Kaffeefilter und anderes, wodurch man die Qualität und Komplexität des Kaffees genießen kann. „Ich liebe den Genuss eines Espressos, kann mich aber auch für Kaltfiltermethoden erwärmen“; der so genannte Slow Coffee tröpfelt 24 Stunden lang durch eine Art Destillierkolben, wobei alle Facetten des Produkts maximal zur Geltung kommen. Hochwertiger Kaffee passt zu verschiedenen Momenten des Tages und kann zu jedem Anlass genossen werden. So auch am Abend, als „Meditationskaffee, wie ich ihn nenne: Dazu eignet sich beispielsweise der Bourbon Pointu aus La Reunion, mit geringem Koffeingehalt und einer unglaublichen Komplexität.“
„Barista sein ist derzeit ein Trend, aber ein positiver wie ich finde, weil die Menschen dadurch lernen, wie man richtig mit Kaffee umgeht. Wer sich tiefer in die Kaffeekultur einarbeitet, ist heute etwa 20 bis 30 Jahre alt und gehört zu einer sehr informierten Generation. Die Informiertheit wird zu einer Angewohnheit, die man mit sich bringt und das ganze Leben lang weitergibt.“ Endlich entsteht eine dynamische Welt voller Innovationen und Zusammenarbeit. Wer beruflich mit Kaffee zu tun hat, ist jung, reist viel und sorgt für einen gesunden Wettbewerb, der zugleich konstruktiv für eine Realität ist, die sich unbedingt erneuern muss um zu überleben. Von den weltweit 70 Millionen etablierten Kaffeeerzeugern ist ein Großteil dabei, seine Plantagen zu verkaufen, weil man nicht mehr davon leben kann. „Wir sind am Ende eines Zyklus angekommen und um ihm zu entkommen, gibt es verschiedene Wege - der biodynamische Anbau ist einer von ihnen. Wenn du dich als Erzeuger nicht vor der Innovation verschließt, bekommst du am Ende auch Zugang zu den Märkten für Specialty Coffees.“
Die Wiederentdeckung des Kaffees ist also nicht nur eine Modeerscheinung.
Hippolyte hat es in der Zwischenzeit weit gebracht und zwischen der Veröffentlichung verschiedener Bücher eröffnete er eine Kaffee-Schule, die nicht nur über die Funktion des Baristas aufklärt, sondern auch einen Gesamtüberblick über das Produkt verschafft. „Der Kaffee ist im weiteren Sinne ein Nachrichtenmedium, ein Spiegel der Welt im ständigen Wandel“, sagt Hippolyte mit voller Überzeugung. Er, der jetzt zu einer Koryphäe geworden ist, nicht mehr auf dem Gebiet der Geschichte des Mittelalters, sondern für Kaffee.